Verliebter Irrsinn

Horst hatte sich in Irina verliebt. Sie waren etwa gleich alt und sozusagen Nachbarn. Er war hingerissen von ihrer schlanken Gestalt, ihrer Sprunghaftigkeit und - ihrem langen, buschigen Schwanz. Das vergaß ich zu sagen: Irina war ein Eichhörnchen und Horst ein Igel.

Und das war das Problem.

Sein Freund, der Maulwurf, hatte bald bemerkt, was da im Gange war.

"Du spinnst doch. Irina lebt auf Bäumen, und du schaffst es ja nicht mal auf einen Baumstumpf zu klettern.", sagte er.

"Ja, ja ...", sagte Horst gequält. "Aber schau mal, wie elegant sie von Ast zu Ast hüpft! Und den Schwanz dabei zum Steuern in der Luft benutzt! Ist das nicht herrlich? Und sie ist so fleißig und sammelt den ganzen Tag Nüsse!"

"Vergiss es!", sagte der Maulwurf. "Und stell dir mal vor, sie würde dich wirklich nehmen und ihr hättet Kinder, wie sollen die denn dann aussehen? Igel mit einem langen, buschigen Schwanz? Oder Eichhörnchen mit Stacheln?"

Horst schien das überhört zu haben. "Und jetzt klettert sie mit dem Kopf nach unten am Baum herunter!", fuhr er verträumt fort.

Der Maulwurf wedelte nur ungehalten mit der Vorderpfote.

Am nächsten Morgen war der Igel schon früh auf den Beinen und lief zum nächstgelegenen Maulwurfsloch.

"Maulwurf! Komm mal raus!", rief er.

Der Maulwurf kam blinzelnd ans Tageslicht. Er mochte es nicht, geweckt zu werden, bevor er ausgeschlafen hatte. Und das konnte manchmal dauern.

"Maulwurf, Du musst mir beibringen wie man auf Bäume klettert!", sagte der Igel aufgeregt.

Der Maulwurf hatte das Gefühl, er hätte sich verhört.

"Dir was beibringen? Igel, ich bin noch nie auf irgendwas geklettert!"

Zufällig kam die Katze des Wegs, die gerade ihr Revier abschritt. Der Maulwurf zog sich eilig unter die Erde zurück. Er war nicht sicher, ob er auf dem Speiseplan der Katze stand, aber er wollte es nicht darauf ankommen lassen. Die Katze hatte gelernt, dass Igel sich nicht als Beutetiere eignen. Außerdem rochen sie streng.

"Katze, du musst mir beibringen, wie man auf Bäume klettert!", sagte der Igel. "Und wieder herunter, mit dem Kopf nach unten!"

Sie schaute ihn fragend an, und Horst erklärte ihr, worum es ging. Sie war schon oft verliebt gewesen. Katzen praktizieren bekanntlich Polyamorie. Auch Irrsinn war ihr von den Menschen, für die sie zuständig war, bestens vertraut. Aber beides zusammen?

Sie ging mit dem Igel zum nahegelegenen Kirschbaum und kletterte ein Stückchen hoch und wieder herunter, mit dem Kopf nach unten. Aber der Igel schaffte es keine Handbreit hoch. Die Katze konnte einfach nicht gut erklären.

Horst hatte eine Idee.

"Ich werde ihr ein Geschenk machen.", sagte er, lief unter den Nussbaum und suchte eine schöne Walnuss aus. Die stupste er mit der Nase auf den Rasen, setzte sich daneben und wartete. Nach einiger Zeit kam Irina. Sie hatte es eilig wie immer, blickte den verliebten Igel kurz aus kleinen schwarzen Knopfaugen an, schnappte sich die Nuss und verschwand.

"Sie hat mich angeschaut!", jubelte Horst.

"Na und?", sagte der Maulwurf. "Sie schaut auch die Krähe an, wenn die ihr die Nüsse klaut."

"Du hast recht.", sagte der Igel betrübt. "Aber wenn ich ihr ganz viele Nüsse schenke, dann merkt sie, dass ich sie liebe."

Es war hoffnungslos mit Horst. Der Maulwurf verschwand erst mal wieder unter der Erde und grub ein paar Gänge, um auf andere Gedanken zu kommen.

Horst sammelte Nüsse, legte sie in einem Kreis auf den Rasen, setzte sich in die Mitte und wartete.

Irina entdeckte bald die Nüsse und holte sich eine davon. Nun haben Eichhörnchen eine sehr sprunghafte Art zu arbeiten. Sie klettern mal auf diesen, mal auf jenen Baum, mal fressen sie eine Nuss, mal graben sie eine ein und mal graben sie eine aus. Es dauerte also geraume Zeit, bis Irina die nächste Nuss holte. Horst saß geduldig und durchströmt von süßer Hoffnung inmitten seiner Nüsse. Aber die Hoffnung sank von Mal zu Mal in sich zusammen, als Irina im Laufe des Tages ungerührt eine Nuss nach der anderen abräumte. Bei den letzten drei Nüssen würdigte sie ihn nicht mal mehr eines Blickes.

Traurig verkroch er sich unter die Hecke und hätte am liebsten Winterschlaf gehalten. Vielleicht sollte er mehr auf seine Linie achten. Vielleicht bevorzugte Irina die sportlichen Typen. Abends spürte der Maulwurf ihn auf.

"Du solltest mal verreisen, damit Du auf andere Gedanken kommst!", schlug er vor.

Tatsächlich hat ja eine Reise schon manchen Liebeskummer geheilt. So durchstreifte der Igel einige Tage lang fremde Gärten und Felder. Aber als er erschöpft in sein Revier zurückkehrte, stellte er mit Schrecken fest, dass dort ein fremder Igel eingezogen war.

Atemlos verfolgte der Maulwurf, wie die beiden Igel mit gesträubten Stacheln aufeinander zugingen. Da plötzlich bemerkte Horst an dem anderen Igel einen Geruch, den er noch nie wahrgenommen hatte, der aber seinen Instinkten vertraut war. So roch eine Igeldame, wenn sie sich dringend kleine Igel wünschte. Die beiden verständigten sich mit einem raschen Blick und zogen sich eilig unter die Hecke zurück.

Der Maulwurf schaute den dem glücklichen Igelpaar hinterher.

"Seid vorsichtig!", rief er ihnen nach.